Amberg. Wie viele hört man sagen „Den Jakobsweg bis Santiago de Compostela, den würde ich auch mal gerne gehen, aber....“ Der Rentner Jürgen Schossig (65 Jahre) aus Amberg machte aus dem „würde“ ein „werde“! War er in den vergangenen Jahren bereits mit seinem Schwager per Velo - mit reiner Muskelkraft und nicht etwa mit einem E-Bike auf - Tour nach Paris, Rom und Amsterdam gegangen (wir berichteten), so machte er sich in diesem Jahr bewusst allein auf diese ganz besondere Reise. Und das ohne jegliche Kenntnisse der französischen und spanischen Sprache. Mit nur ein paar Wörtern Englisch, dafür aber mit umso mehr Mut und Vertrauen im Gepäck machte sich der Radl-Rentner auf die Pilgerreise. Er hat dem Ostbayern-Kurier von seinen Erlebnissen und Erkenntnissen auf dem Jakobsweg von Amberg nach Santiago de Compostela erzählt.

 

Tag 1 / Montag, 14.05.

Abfahrt um 8.30 Uhr in Amberg mit dem Trekking-Rad, beladen mit 30 kg Gepäck. In der Nürnberger Gegend frage ich einen Radfahrer nach dem Weg und dieser begleitet mich für 10 km. Gegen Abend komme ich am Zeltplatz in Oberdachstetten an. Der Zeltplatz ist kostenlos, aber es gibt weder Wasser noch Waschräume, Duschen oder WC... und kein Bier! Ich frage einen Buben, der am Zeltplatz vorbeikommt: „Wohnst Du hier in der Nähe und ist dein Papa daheim?“ „Ja, warum“, antwortet er erstaunt. Ich drücke ihm 5 Euro in die Hand, er möchte mir doch bitte 2 Flaschen Bier von seinem Vater holen. Der Bub trollt sich und ich bin gespannt, ob er sich nicht einfach mit dem Geld aus dem Staub macht. Aber 5 Minuten später taucht er tatsächlich mit 2 Flaschen Bier auf – war das ein Genuss!! Ich habe in der Nacht fast kein Auge zugetan – der Zeltplatz liegt an einem Weiher und nahe einer Bahnstrecke – Froschgequake und vorbeifahrende Züge raubten mir den Schlaf.

Strecke 140 km, 764 HM (Höhenmeter)

 

Tag 2 / Dienstag, 15.05.

Fahre ohne besondere Vorkommnisse bis Bad Friedrichshall auf einen Campingplatz (CP). Weil es regnet, stelle ich mein Zelt in dem Unterstand für Fahrräder auf. Der Platzwart ist darüber nicht begeistert. Egal, es regnet die ganze Nacht, aber das Zelt bleibt trocken!

Strecke 122 km, 877 HM

 

Tag 3 / Mittwoch, 16.05.

Nach dem Frühstück geht’s auf meiner Tagestour nach Ettlingen. Finde dort keinen CP. Also „wild“ campen auf einer Wiese abseits der Straße. Es regnet wieder die ganze Nacht lang!

Strecke 95 km, 753 HM

 

Tag 4 / Donnerstag, 17.05.

Am Morgen öffne ich die Augen und denke mir, als ich so an der Zeltwand hochschaue, seltsam, was hat das Zelt nur für komische braune Flecken?? Als ich aus dem Zelt krabble sehe ich die Bescherung – das Zelt ist übersät mit Nacktschnecken, 30-40 an der Zahl! Würg... Handschuhe an und die ekligen Besucher entfernen. Nach dieser „Kammerjäger-Tätigkeit“ fahre ich ohne Frühstück los (verständlich, oder?) über Baden-Baden auf einen CP in Kehl. Da ich schon kein Frühstück hatte , schnell noch Einkäufe für ein anständiges Abendessen und den nächsten Tag erledigen. Als ich auf dem Parkplatz meine Einkäufe in den Satteltaschen verstaue, steht plötzlich ein ca. 75-jähriger Mann neben mir, der aus vollem Hals das Lied „Hab mein Wagen vollgeladen....“ schmettert. Tinnitusgefahr! Alle Kunden am Parkplatz hören zu und haben ein Lächeln auf dem Gesicht. Der ältere Herr fragt mich woher - wohin und will mitfahren. Hat aber leider keine Zeit und ich sowieso keinen Platz mehr auf dem Gepäckträger.... „wie schade“!

Strecke 113 km, 186 HM

 

 

Tag 5 / Freitag, 18.05.

Nach Frühstück und Zeltabbau geht es weiter Richtung Mühlhausen am Rhein entlang. An einem Seitenarm entdecke ich eine große Schildkröte beim Sonnen. Das ist bestimmt die seltene Rheinschildkröte - hat ihren Namen daher, weil sie dort jemand r(h)eingesetzt hat??!! Keiner lacht... kein Problem, der war auch nicht sooo gut...! Nehme mir für diese Nacht ein Zimmer in einer Pension, um Wäsche zu waschen, Zelt trocknen und eine Nacht in einem „richtigen“ Bett zu schlafen. Alles tip-top dort! Bekommt von mir nach meiner Rückkehr eine sehr gute Bewertung, um die schlechten Bewertungen, die laut Wirtin von „Gästen“,
welche aber nie in der Pension genächtigt haben abgegeben wurden zu neutralisieren.

Strecke 113 km, 139 HM

 

Tag 6 / Samstag, 19.05.

Fahre weiter Richtung Mühlhausen-Dannemarie-Montbeliard, meist am Rhone-Kanal entlang... eine wunderschöne Gegend und flaches Gelände, da macht das Radeln richtig Spaß. Doch gegen 18.00 Uhr werde ich von einem heftigen Gewitter überrascht. Der Spaß hat ein Ende. Ich flüchte in einen Wald und baue an einer Lichtung mein Zelt auf. In der Nacht wieder heftiger Regen *seufz

Strecke 117 km, 400 HM

 

Tag 7 / Sonntag, 20.05.

Der ständige Regen macht mir zu schaffen und zermürbt. Hilft ja alles nichts, ich breche auf Richtung Besancon. Inzwischen ist das Wetter besser und auch meine Stimmung hellt sich auf. Hier grüßen sich die meisten Radfahrer. Werde gerade „überholt“: „Bonjour, sprechen sie deutsch“, werde ich gefragt. „Nix anderes“, ist meine Antwort! Der Angesprochene kippt vor Freude fast vom Rad. Er ist Rentner aus Österreich und mit einem Kollegen unterwegs. Sie fragen nach meinem Ziel, als ich es ihnen sage, sind sie erst mal sprachlos... da wollen sie auch hin! Ein paar Kilometer fahren wir gemeinsam bei netter Unterhaltung, dann trennen sich unsere Wege wieder. Habe die beiden Österreicher noch zweimal auf meiner Tour getroffen und es gab immer ein großes HALLO, obwohl ich sehr gerne allein unterwegs bin und meine Gedanken ungestört schweifen lassen kann.

Bald geht mein Wasservorrat zu Ende. In einem kleinen Dorf sitzt ein junges Pärchen mit ihren Kindern im Garten. Ich bitte um Trinkwasser und meine Flaschen werden gefüllt. „Café?“, fragt die Frau. „Qui“, antworte ich und denke, nichts lieber als das! Sie winkt mich herein und ich bekomme Kaffee und  Schokolade! Wir versuchen so gut es geht uns zu verständigen, unterhalten uns „mit Händen und Füßen“, wobei die junge Frau ihrer kleinen Tochter ungeniert die Brust gibt. Mein Kaffee war ohne Milch – trotzdem gut!! Gegen 15.00 Uhr stelle ich bei Sonnenschein mein Zelt auf einem CP auf.

Strecke 101 km, 450 HM

 

Tag 8 / Montag, 21.05.

Nun bin ich schon eine Woche unterwegs. Ich spüre schon jetzt die Anstrengung, kann mich aber trotz des vielen Regens immer wieder motivieren, möchte unbedingt mein Ziel erreichen. Fahre bis CP Chagny. Unterwegs habe ich einen Karlsruher getroffen, der mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Gibraltar ist. Dieses Ziel hatte ich bei meinen Vorbereitungen auch einmal kurz angepeilt, aber dann bald wieder verworfen und das war gut so!!

Strecke 112 km, 391 HM

 

 

 

Tag 9 / Dienstag, 22.05.

Fahre bei leichtem Regen los, aber es wird bald besser. Mache nach ein paar Kilometern Rast, Frühstück - kaufe mir einen Milchkaffee und frisches Croissant, einfach lecker! Weiterfahrt durch Weinberge. Mittags – ich habe heute mal einen „süßen“ Tag - gibt es in einer kleinen Bar, welche von einer alten Frau betrieben wird, einen weiteren Café au lait mit einem Stück Tarte de Pommes... es schmeckt himmlisch! So gestärkt ging es nun laufend bergauf-bergab, bin ganz schön gefordert, aber das wird in den kommenden Tagen bestimmt noch schlimmer. Fahre in Paray le Monial auf einen schönen CP. Hier gibt es eine Microwelle zum allgemeinen Gebrauch. Ich mache mir ein Fertiggericht, dazu ein Bier – Camperherz, was willst du mehr.

Strecke 94 km, 650 HM

 

Tag 10 / Mittwoch, 23.05.

Stehe um 5.30 Uhr auf und mache mir Kaffee, dazu gibt es Schokocrepes. Danach geht’s los auf die heutige Tagesetappe. Nach 2 Stunden Fahrt zweites Frühstück mit Kaffe und Kuchen. Fahre an Moulins vorbei weiter nach Souvigny. Das Wetter wird schlechter, Gewitterwolken ziehen auf. Bin plötzlich mit meinen Kräften total am Ende, kann mich kaum noch auf dem Rad halten – bergauf-bergab! Doch der nächste CP ist noch 25 km entfernt. Ich frage einen „Eingeborenen“ nach einem CP in der Nähe, dieser liegt 9 km abseits meiner Tour, egal, ich fahre, inzwischen in einem heftigen Gewitter dort hin. Als ich ankomme, trifft mich fast der Schlag! Der CP ist eine durch den Regen aufgeweichte Wiese mit WC und Duschkabine. Kein Mensch vor Ort und es regnet weiter in Strömen, Zeltaufbauen unmöglich! Nach 1,5 Stunden mit abwarten immer noch keine Wetterbesserung. Was tun? Ich nehme mein Gepäck und begebe mich in die Duschkabine, die ist sauber und trocken. Luftmatratze und Schlafsack dazu und fertig ist mein Nachtlager.

Strecke 89 km, HM 963

 

Tag 11 / Donnerstag, 24.05.

Wieder hat es die ganze Nacht hindurch geregnet. Ich stehe um 5.00 Uhr auf und koche mir einen Kaffee, der tut gut, es ist kalt und neblig. Packe meine Utensilien aufs Rad und fahre los. Mittags erreiche ich Montlucon. Wie immer in den Städten ist mein Navi überfordert, schaltet sich ab oder schickt mich mal nach rechts, mal nach links. Ich navigiere mich mit dem Kompass aus der Stadt. Plötzlich ein Höllenlärm – ein Düsenjäger, so tief, daß man die Kanzel deutlich erkennen kann. Fahre mit leicht eingezogenem Kopf weiter – man weiß ja nie - aber nicht lange, Straße gesperrt, Baustelle! Egal, Absperrung umfahren und weiter geht’s - habe ich in Deutschland auch schon so gemacht, aber pssst, nicht weitersagen! Es geht bergab, wunderbar.... bis zur nächsten Absperrung! Brücke abgerissen, kein durchkommen! Also wieder zurück, so eine Sch....! Der Umweg war ziemlich groß, meine Wut größer. Ich beschloss den nächsten CP anzufahren und falls es ein guter sein sollte, dort einen Tag zu pausieren. Am Abend gehe ich noch zum Einkaufen, veranstalte eine regelrechte Fressorgie, Bier dazu und alles ist wieder gut!

Strecke 89 km, 963 HM

 

Tag 12 / Freitag, 25.05.

Auszeit auf dem CP! Schlafen, Essen, Wäsche waschen und - kaum zu glauben – SONNEN! Am Abend – wie sollte es anders sein – wieder heftiges Gewitter!

 

Tag 13 / Samstag, 26.05.

Abfahrt 7.00 Uhr, nach 30 km Rast mit einem Café au lait. Mein Ziel heute ist Burganeuf, eine Tagesetappe von insgesamt etwa 75 km, das passt um wieder in Tritt zu kommen. Die letzten 2 Kilometer bis zu meinem CP am Tagesziel geht es steil berab. Als ich dort ankomme, finde ich keine Worte mehr, selbst das Fluchen bleibt mir im Hals stecken. Der CP ist bestimmt seit Jahren nicht mehr in Betrieb, alles vernagelt und verkommen. Fahr ich halt die 2 km wieder bergauf – der nächste CP ist noch 25 km entfernt. Ein kleiner Trost – dieser CP ist tip-top!!

Strecke 104 km, 1.354 HM !

 

Tag 14 / Sonntag 27.05.

Abfahrt vom CP Saint Leonhard de Noblat ohne Frühstück und schon nach den ersten Kilometern geht es steil bergauf, na bravo! Heute sehe ich die erste Fußpilgerin, eine ca. 60 Jahre alte Frau, die flott ihren Weg geht. Ich dagegen fühle mich heute sowas von schlapp und beschließe den nächsten CP anzusteuern. Habe noch 6 Kilometer bis dahin vor mir, da beginnt es wie aus Eimern zu schütten. Ich suche unter einem großen Baum Schutz und warte 1 Stunde, der Regen hört nicht auf. Was bleibt da anderes übrig als Regenklamotten auspacken, anziehen und weiter geht’s, nachdem ich nachgeprüft habe, ob mir nicht schon Schwimmhäute zwischen den Fingern gewachsen sind! Am Campingplatz Bel Air in Lodignac de Long angekommen, Reception ist nicht besetzt – was soll's! Ich suche mir selbst einen schönen Platz und baue mein Zelt auf. Keine Sorge, der Kassier kam später noch ans Zelt und ich bezahlte brav die Standgebühr für das Zelt und mein Fahrrad – tja, so war das auf den Campingplätzen, auch für das Fahrrad mußte eine „Übernachtungsgebühr“ gelöhnt werden *tztztz


Strecke 50 km, 786 HM

 

Tag 15, Montag 28.05.

Nachdem ich mir Kaffee gekocht habe fahre ich um 7.30 Uhr bei wolkenverhangenem Himmel wieder los. Wie gehabt geht es weiter „rauf und runter“ aber durch eine wunderschöne Gegend, wie fast überall auf meiner Strecke durch Frankreich. Ringsrum alles in einem saftigen grün, kein Wunder bei dem vielen Regen! Es ist eine herrliche Ruhe, manchmal sehe ich 45 Minuten lang keine Menschenseele. Viele unbekannte Vogelstimmen begleiten mich durch meine Gedanken, ich durchlebe meine Kindheit, Jugendzeit, mein ganzes Leben noch einmal, spüre Schmerz und Freude beim Aufleben verschiedener Ereignisse aus der Vergangenheit, male mir die Zukunft aus, was wird das Leben wohl noch an Freude, aber auch Leid für mich bereit halten? Dabei kommt mir immer wieder der Song von Haindling in den Sinn, dessen Text sowohl das Leben als auch die Streckenführung auf meiner Pilgerreise beschreibt: „Es geht runter und es geht wieder rauf. Wieder nach unten und nochmal geht’s auf. Es fängt von vorn an und es hört wieder auf. Es geht wieder runter, doch dann wieder rauf“.

Ein paar Kilometer muß ich heute auf einer Nationalstraße fahren, das ist nur für sehr nervenstarke Radler geeignet. Die 40-Tonner fahren schon sehr „platzsparend“ an mir vorbei und der Sog tut noch seinen Teil dazu! Ich bin richtig erleichtert und froh, als ich wieder auf Nebenstraßen und Radwegen weiter fahren kann. Manchmal hupen Autofahrer beim Überholen und zeigen mir lächelnd den Daumen nach oben, das gibt mir Ansporn und neue Kräfte.

Nach einigen Regenschauern erreiche ich Perigueux, eine Partnerstadt von Amberg. Kurz überlege ich, ob ich im Rathaus dort den Bürgermeister besuche und mich von diesem zu einem Abendessen einladen lasse. Aber in meiner Radlerklamotte will ich ihm das dann doch nicht zumuten. Er kann die Einladung aber gerne aussprechen, wenn er einmal wieder zu Besuch in Amberg ist *grinssssssss ....  Ich suche mir ein Hotel, dusche und sehe mir noch kurz die schöne Altstadt an, aber es beginnt wieder zu regnen, also zurück ins Hotel und ausruhen!

Strecke 66 km, 821 HM

 

Tag 16 / Dienstag, 29.05.

Ausgeschlafen und mit einem leckeren Frühstück intus fahre ich um 9.00 Uhr los. Bin nach 30 Minuten aus der Stadt. Heftiger Regen setzt ein, Regenkleidung anziehen und weiter. Das Gelände ist jetzt nicht mehr so bergig und ich komme trotz Regen gut voran. Nach einer Mittagspause geht es auf einem Radweg weiter, kilometerlang, hohe Büsche links und rechts. Da kann man schon mal etwas von seiner Aufmerksamkeit verlieren und mit den Gedanken ganz wo anders sein als auf der Strecke, sollte man(n) aber nicht! Ich bemerke nicht, daß ich auf eine kleine Kreuzung zufahre. Da ist es auch schon passiert. Ein Auto von rechts, ich kann nicht mehr bremsen, die Fahrerin des Wagens, eine ältere Dame auch nicht! Es kracht und ich liege leicht benommen auf der Straße. Vorsichtig probiere ich ob ich mich bewegen kann, es scheint alles in Ordnung zu sein.

Ich stehe auf und sehe mein Fahrrad – das war´s dann wohl!! Das Vorderrad ist total verbogen und unbrauchbar, eine Satteltaschenhalterung abgerissen. Am Auto eine faustiefe, große Delle. Ich stehe mitten im nirgendwo und eine Verständigung mit der Fahrerin ist aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse auf beiden Seiten nicht möglich. Die ältere Dame, geschätzt so um die 80 Jahre telefoniert aufgeregt und nach einer Weile kommt eine jüngere Frau, wohl deren Tochter angefahren. Sie spricht wie ich etwas Englisch und bietet mir an, mein Vorderrad und Gepäck in ihr Auto zu laden und mit mir zu einem Veloservice zu fahren, während die ältere Dame mit dem „Rest“ meines Fahrrades mit dem verunfallten Auto heim fährt. Beim Velo-Service angekommen wartet schon das nächste Problem auf mich. Es gibt dort keine passende Felge für mein Rad, ich könnte diese im etwa 100 km entfernten Bordeaux bekommen, aber wie bitte soll ich dahin kommen. Der Mitarbeiter ist sehr freundlich und durchsucht das Lager. Er findet eine gebrauchte passende Felge, lasse Schlauch und Reifen montieren bezahle. Noch einen 14er Schlüssel im Baumarkt kaufen und dann 20 km zurück zu meinem Fahrrad. Und bevor jetzt ein ganz schlauer denkt, wie kann man denn ohne passendes Werkzeug auf so eine Reise gehen... ich hatte Werkzeug dabei, aber eben keinen 14er Schlüssel, da meine Originalfelgen einen Schnellspanner haben.

Ich montiere das Vorderrad, lade mein Gepäck wieder auf und bin gespannt, wie es nun mit dem Schaden am Auto weitergeht. Da kommen auch schon die beiden Frauen aus dem Haus. Ich bedanke mich zunächst für die Fahrt zum Velo-Service... „no problem“ erhalte ich zur Antwort und werde mit den besten Wünschen für meine weitere Fahrt verabschiedet. Kein Wort zum Autoschaden... mir soll´s recht sein! Habe diesen Crash gedanklich noch nicht richtig verdaut und bin noch keine 15 Minuten wieder unterwegs, als zwei große Hunde mit Gebell auf mich zustürmen. Ich gebe Fersengeld und trete kräftig in die Pedale. Gottseidank verlieren die beiden Hunde recht bald das Interesse an einer Verfolgungsjagd.

Ich habe den Gedanken „für heute langt es aber“ noch nicht zu Ende gedacht, da höre ich eine Frau aufgeregt rufen und gleichzeitig kommt ein Rottweiler aus einem Grundstück heraus auf mich zugerannt, keine 10 Meter mehr von mir entfernt kann die Besitzerin ihren Hund gerade noch zurückrufen. Phhuuuuu... das war echt knapp. Mir reichts, ich fahre den CP in Montpon an, um neben meinen Nerven auch meinen Schutzengel, der heute schon genug Arbeit mit mir hatte, nicht noch weiter zu strapazieren!


Strecke 70 km, 257 HM

 

Tag 17 / 30.05.

Habe die ganze Nacht schlecht geschlafen, der Unfall und daß alles noch viel schlimmer hätte ausgehen können geht mir nicht aus dem Kopf. Außerdem schmerzen meine Rippen – da habe ich mir wohl doch bei dem Aufprall auf der Straße neben den Hautabschürfungen eine Prellung zugezogen. Nichts desto trotz fahre ich nach Zeltabbau gegen 8.00 Uhr vom CP ab. Schon nach 5 km setzt heute wieder kräftiger Regen ein. Rechtzeitig kann ich mich in einem kleinen „Bushäuschen“ ca. 1 x 1 Meter groß unterstellen. Meine Stimmung ist am 0-Punkt angelangt, aber ich bleibe zumindest trocken. Nach einer Stunde klart es etwas auf und ich fahre weiter. Es geht wieder durch Weinberge nach Cadillac. Der angepeilte CP dort ist geschlossen, also weiter. Die Sonne kommt raus, was bewirkt, dass sich meine Stimmung, die zwischenzeitlich „unterirrdisch“ war, schlagartig bessert... was ein bisschen Sonnenschein bei mir derzeit bewirken kann... unglaublich! In Hostens angekommen, ist auch dieser CP geschlossen, aber die Aufsicht hat wohl Mitleid mit mir, öffnet das Tor und ich kann kostenlos dort in meinem Zelt übernachten.

Strecke 112 km, HM 656

 

Tag 18 / 31.05.

Fahre um 7.30 Uhr wieder ab. Mein Weg führt über kilometerlange ebene Radwege und Straßen und dies bei wenig Regen. Ich folge den Navianweisungen, bis ich vor einem mit Zaun gesichertem militärischen Sperrgebiet stehe. Laut Navi soll ich hier durch?! Weil ich aber nicht glaube, dass es genügt, mich mit meinem Jugendherbergsausweis auszuweisen und ich die Erlaubnis erhalte hier durchzufahren, kehre ich wieder um. 12 km zurück! Da kommt mir ein Wohnmobil mit französischem Kennzeichen entgegen... der Fahrer mit etwas „säuerlichem“ Blick, auch er mußte wieder umkehren.... hatte wohl das gleiche Navigationsgerät wie ich!!! Fahre entgegen meiner Planung auf einen CP in Mimizan.

Strecke 112 km, 184 HM

 

Tag 19 / Freitag, 01.06.

Abfahrt 8.00 Uhr auf Radwegen die Küste entlang. Den Atlantik kann ich kaum sehen. Aus Langeweile jage ich Hasen, die auf dem Radweg sitzen. Scheinbar haben die Tiere auch Spaß an dieser Jagd, denn sie flüchten nicht etwa nach rechts oder links, sondern hoppeln immer am Radweg entlang, also bitte keine Bemerkungen über Tierquälerei! Ich fahre nach Capbreton ans Wasser. Als ich einige Fotoaufnahmen mache spricht mich eine Frau auf französisch an. „Ich kann sie leider nicht verstehen“, entschuldige ich mich in deutscher Sprache. „Oh, Allemand, ich komme aus dem Elsass“, antwortet sie mir. Wir unterhalten uns eine Zeit lang und sie freut sich sehr, mit mir etwas Deutsch sprechen zu können. Bald verabschiede ich mich aber, denn ich will heute noch weiter bis zu einem CP in Ustarriz. 5 km bevor ich dort ankomme, setzt wolkenbruchartiger Regen ein. Bis ich meine Regenkleidung angezogen habe, bin ich schon total durchnässt... dieser Regen bringt mich wieder mal an den Rand der Verzweiflung. Aber auch, wenn der ganze Spuk nach 30 Minuten ein Ende hat, kommt es noch schlimmer. Den CP, den ich anfahren wollte, gibt es nicht mehr!

Ich muß weiter! Völlig erschöpft erreiche ich an diesem Tag noch den CP in Espalette. In Brühe koche ich mir auf dem zu meiner „Ausrüstung“ gehörenden Kocher Nudeln, schneide mir zu diesen noch einen kleinen Rest Wurst aus meinen Vorräten mit hinein und auch noch zur weiteren „Verfeinerung“ einen Camenbert dazu, auch wenn dieser schon verdächtig riecht. Tja, das Ganze schaut dann gar nicht mal so gut aus... Lafer würde sich bei dem Anblick das Leben nehmen, mir schmeckte es! Der Stuhlgang danach war allerdings etwas „Flitzekacke“ !

Strecke 142 km, 706 HM

 

Tag 20 / Samstag, 02.06.

Heute soll es nach der gestrigen Anstrengung ein ruhiger Tag werden. Aufstehen, Kaffe kochen, alles piano. Zu meinem heutigen Ziel Saint Jean Piet de Port sind es nur etwa 3 Stunden Fahrzeit. Für ca. 12 % der Pilger die in Santiago ankommen, ist hier der Ausgangsort ihrer Pilgerreise. Ich habe bis dahin bereits 1.796 Radlkilometer in den Beinen!! Bei meiner Ankunft muß ich noch 2 Stunden warten, bis die Pilgerherberge öffnet. Ein Schlafsaal mit 16 Betten. Ich wasche meine Wäsche und hoffe sie wird bis zum nächsten Tag trocken. Stelle fest, das Pilgerherbergen nicht wirklich meine Welt sind. Mir ist es dort zu hektisch, zu laut.

Das empfand ein/e „Mitbewohner/in“ im Schlafsaal nachts wohl auch so, ich wurde durch ein heftiges Hämmern gegen mein Bett aus dem Schlaf gerissen. Tja, muß zugeben, ab und an „atme“ ich etwas lauter, böse Zungen behaupten ich würde ganze Wälder des nächtens „umsägen“. Aber ihr lieben Männer und Leidensgenossen, wir können da gar nichts dafür! Die Ursache sind aus der Steinzeit erhalten gebliebenen Gene, welche wir noch in uns tragen. Vor Urzeiten wurden nachts am Feuer oder in den Höhlen durch lautes Schnarchen die wilden Tiere vertrieben und alles was einem lieb war so beschützt! Also ihr im Schlaf gestörten Mitmenschen, seht es doch mal so... nur ganz besonders fürsorgliche Männer und gelegentlich, hab ich mir sagen lassen auch Frauen, schnarchen heute noch... wenn das mal kein Pluspunkt für die Schnarcher ist!!!

Strecke 39 km 440 HM

 

Tag 21 / Sonntag, 03.06.

Fahre nach einer „durchwachsenen“ Nacht in der Pilgerherberge um 8.00 Uhr ab. Heute geht es über die Pyrenäen nach Spanien. Da heute am Sonntag kein Schwerverkehr ist fahre ich auch auf der Nationalstraße, komme flott voran und bin um 15.30 Uhr in Pamplona. Ich starte mein Navi und lasse mich führen. Nach einer Stunde kreuz und quer durch die Stadt (die Probleme mit dem Navi in Städten habe ich ja bereits beschrieben) bin ich außerhalb Pamplonas. Von der Stadt habe ich eigentlich gar nichts gesehen, aber noch einmal zurück und nach den Sehenswürdigkeiten Ausschau halten möchte ich auch nicht mehr. Stattdessen mache ich mich auf den Weg nach Puente la Reina. Die Pilgerherberge ist voll belegt. Der Herbergsvater gibt mir einen Tipp... 1 Kilometer zurück finde ich eine Unterkunft, Vierbettzimmer für 11 Euro. Die Fahrt über die Pyrenäen hatte ich mir anstrengender vorgestellt, aber ich konnte tatsächlich die 1.700 HM zu 80 % fahrend überwinden. Zum Abschluß des Tages gabs noch ein Bier und dann nur noch ab ins Bett!

Strecke 105 km, 1.700 HM

 

Tag 22 / Montag, 04.06.

Um 8.00 Uhr beginne zu packen. Pünktlich zur Abfahrt beginnt es zu regnen. Ich steuere die nächste Pilgerbar an. Die ist rappelvoll, kein Wunder bei dem Wetter. Erst nach 10 Minuten bin ich an der Reihe und kann mir Kaffee und Hörnchen bestellen. Der Regen will nicht nachlassen und ich fahre los. Meine Etappe verläuft heute auch auf Fußpilgerwegen. Mir fallen sofort die vielen Asiaten auf, die den Jakobsweg gehen, das erstaunt mich. Das Wetter wechselt laufend, Regenkleidung an, Regenkleidung wieder aus, das nervt schon ein bisschen.

Ein Zwischenziel am heutigen Tag ist Irache. In einem Weingut dort soll es einen Brunnen geben, aus welchem aus einem Zapfhahn Wasser (das ist ja noch nicht ungewöhnlich, oder) und aus einem weiteren Zapfhahn Rotwein fließt. Und tatsächlich, aus einem der Zapfhähne kommt Rotwein! Zunächst trinke ich ein paar Schlucke, der Wein ist gar nicht schlecht! Ich fülle meine Wasserflasche mit ein wenig Wein und fülle mit Wasser auf, 1a-Weinschorle als Getränk für den Rest meiner Tagesetappe. Ich überhole einen Radpilger, das Fahrrad ähnlich beladen wie ich, aber zusätzlich noch mit einem Anhänger, auf welchem er noch geschätzt einen ½ Kubikmeter Gepäck geladen hat. Dagegen bin ich mit meinen 30 kg Gepäck ein Leichtgewicht... Hut ab! Ich fahre zu einem CP in Logrono, die Übernachtung in meinem Zelt ist mir lieber als die in einer Pilgerherberge.

Strecke 75 km, 1.064 HM

 

Tag 23 / Dienstag, 05.06.

Wieder Regen! Erst um 10.00 Uhr kann ich abfahren. Sehe mir in Logrono die impossante Kirche Inglesia de Santa Maria de Palacia an. Der Autoverkehr in der Stadt ist mir zu hektisch, ich schiebe. Einige Passanten wünschen mir „Buen Camino“, der Pilgergruß auf dem Jakobsweg in Spanien. Weiterfahrt über Navarrete nach Najera, wo ich mir in einem Supermarkt 250 g Mortadella zur Brotzeit kaufe. Preis 1 €... ich möchte gar nicht wissen, was da in der Wurst verarbeitet wurde, Fleisch kann es bei diesem Preis ja nicht sein, egal, sie schmeckt und was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß! Der nächste Streckenabschnitt führt wieder auf einem Fußpilgerweg nach Santo Domingo de Calzada. Ich schiebe schon eine Weile, als es mit dem Fahrrad fast nicht mehr weiter geht. Nur mit großer Mühe erklimme ich nebst Rad den zerklüfteten Hügel. Gottseidank kann ich danach bald wieder auf Straßen fahren und komme gut kurz vor Santo Domingo auf dem ausgewählten CP an. Tiefdunkle Wolken drohen. Ich beeile mich mit dem Zeltaufstellen auf dem mir zugewiesenen Platz neben einer Mauer. Nach einem Donnerschlag öffnet der Himmel seine Schleusen und wolkenbruchartiger Regen setzt ein. Gerade noch geschafft. Ich sitze im Trockenen im Zelt. Aber was ist das, der Zeltboden fühlt sich plötzlich an, als würde ich auf einem Wasserbett sitzen. Als nach 20 Minuten der heftige Regen etwas nachläßt schaue ich mir die Bescherung an. Aus der Mauer neben meinem Zelt schießt aus 3 Abläufen das Wasser. Mit Mülltüten versuche ich die Ablaufrohre zu verstopfen, bevor ich ganz absaufe.

Strecke 52 km 696 HM

 

Tag 24 / Mittwoch 06.06.

Die Nacht war kühl, bei der Abfahrt um 7.30 Uhr zeigt das Thermometer 12 Grad, immerhin plus *grinssss

Mein Weg führt wieder über gut besuchte Fußpilgerwege. Wegen dem Regen ist alles matschig und ich komme kaum voran. Mein Rad sieht aus wie Sau – sorry für den derben Ausdruck! Bei erster Gelegenheit also wieder auf eine Straße. Die spanischen Autofahrer halten ordentlich Abstand, sodaß das Radeln auch auf der viel befahrenen Straße gefahrlos möglich ist. Über Bolorado nach Burgos erreiche ich den Campingplatz. Auch hier ärgere ich mich wieder, daß nicht nur fürs Zelt, sondern auch für das Fahrrad eine Standgebühr fällig wird. Aber ok, was soll´s, habe um 14.00 Uhr das Zelt aufgebaut, Bremsen nachgestellt und geduscht. Und das Beste, es regnet NICHT – waren es mittags 19 Grad so sind es jetzt um 17.00 Uhr sonnige 25 Grad! Himmlisch!

Strecke 80 km 874 HM

 

Tag 25 / Donnerstag 07.06.

Trotz dem schönen warmen Vorabend war die Nacht wieder mal regnerisch und kühl! Sie können das schon nicht mehr hören? Aber hallo, ich mußte es erleben!! Wie so oft fahre ich um 9.00 Uhr bei leichtem Regen ab. Nach einer Stunde knurrt mir der Magen, da heißt es schleunigst ab in eine Pilgerbar. Bevor ich einen „Hungerast“ bekomme, erst mal Frühstück – Kaffee und Pizza! Ja, das schmeckt und ich wiederhole es gern nochmal für die Ungläubigen. Nach dem leckeren Frühstück geht es weiter auf dem „Camino“, es geht langsam voran, nicht nur wegen dem aufgeweichten Boden, sondern auch weil sich immer
mehr Fußpilger auf dem Jakobsweg befinden.

Die Pilger könnten unterschiedlicher nicht sein. Viele Pilger sind allein unterwegs, vom Mädchen mit etwa 20 Jahren bis zu älteren Herren. Gerüchten zu folge sollen sich hier ja auch 65jährige Greise mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg befinden!! Ein junger Pilger mit Hund an der Leine schleppt ein großes Skateboard mit. Ich frag mich, wann er dies benutzen will?? Ich befürchte, er kann lang auf eine Gelegenheit zum Boarden warten. Einige, meist weibliche Pilger haben ihr zulässiges Gesamtgewicht um mindestens 100 % überschritten, sind aber mit flottem Schritt unterwegs..., ich verbeuge mich mit größtem Respekt!

Als der Ort Castrojeritz passiert ist, geht es in einer 12%igen Steigung den Berg hinauf. Nach einer halben Stunde bin ich oben und platt wie eine Flunder! Fahre weiter bis Formista und leiste mir ein Hotelzimmer.

Strecke 82 km 616 HM

 

Tag 26 / Freitag, 08.06.

Habe wunderbar in meinem Hotelbett geschlafen. Ich ziehe den Rollo am Fester auf... Regen... ich lege mich wieder ins Bett. Eine Stunde später bekomme ich Hunger, stehe auf, erledige die morgendliche Katzenwäsche, ziehe mich an und bestelle mir Frühstück. Nun hat der Regen fast aufgehört es nieselt nur noch und ich fahre los. Muss wieder auf Fußpilgerwegen fahren. Urplötzlich knackende Geräusche vom Tretlager – mir wird himmelangst! Wenn das Rad ausfällt, muß ich zum Fußpilger werden, bis Leon sind es noch 70 km! Vorsichtig fahre ich weiter, der leichte Regen hört auf und die Geräusche sind verschwunden. Erleichtert mache ich auf einer Bank Brotzeit. Ein Hund riecht wohl den Thunfisch und stellt seine Vorderpfoten neben mich auf die Bank. Ich erkläre dem Tier, daß es kaum für mich reicht. Anscheinend einer Fremdsprache mächtig, trollt sich der spanische Hund daraufhin wieder.

Gestärkt geht es auch bald mit der Fahrt für mich weiter. Plötzlich setzt wieder Starkregen ein. Ich flüchte in eine Scheune... die Hühner flüchten vor mir! Nach 10 Minuten ist alles vorbei und ich kann meine Fahrt fortsetzen. Um mich vor einem bald abermals einsetzenden Regenguss zu schützen, stelle ich mich unter ein Dach auf einem Friedhof. Ich glaube nun bald, dass ich bei meiner Reiseplanung die spanische Monsunzeit übersehen habe! Fahre noch weiter bis kurz vor Leon auf einem CP. Zeltaufbauen und intensive Fahrradpflege mit Waschen. Danach habe ich mir eine Lasagne und ein Feierabendbier redlich verdient!

Strecke 103 km 606 HM

 

Tag 27 / Samstag, 09.06.

Wache um 7.00 Uhr auf, kein Regen – passt! Nach dem Packen fahre ich nach Leon, erstmal über verschlammte Trampelpfade. Das Fahrrad sieht wieder aus wie bei meiner gestrigen Ankunft am CP, das Waschen hätte ich mir sparen können! In Leon erst mal Frühstück - Café con leche und ein großes Stück Kuchen für 2,50 € - da kann man wirklich nicht meckern. Danach mache ich mich auf die Suche nach der Kathedrale, schieße ein paar Fotos und raus aus der Stadt. Weiter geht’s über Astorga bis Foncebadon in eine Pilgerherberge in der Nähe vom Cruz de Ferro. Mache mir in der Küche meine in einem Supermarkt gekauften Wiener warm, essen, danach duschen und hoffentlich gut schlafen.

Strecke 86 km, 1.032 HM

 

 

 

Tag 28 / Sonntag, 10.06.

Stehe um 7.00 Uhr auf. Schlafen geht sowieso nicht mehr, da die meisten Fußpilger schon um 5.30 Uhr angefangen haben zu packen und einige davon ziemlich lautstark. Es nieselt und es ist neblig. In der Herberge gibt es kein anständiges Frühstück, also ab in die nächste Pilgerbar.  Von dort aus geht es noch 30 Minuten bergauf bis zum Cruz de Ferro. Hier steht auf auf dem höchsten Punkt des spanischen Jakobwegs in 1.500 m Höhe ein auf einem Baumstamm montiertes Eisenkreuz. Jeder Pilger legt dort einen von zuhause mitgebrachten Stein ab, manche auch persönliche Gegenstände oder Briefe. Mir ist hier zuviel Trubel, ich halte mich nicht lange dort auf und fahre bald wieder los. Mein Weg führt weiter über eine kilometerlange Abfahrt, die Bremsen haben gut zu tun. Fahre nach Ponferrada und schaue mir die beeindruckenden Templerfestungen an. Über Villafranka geht es anschließend zum CP in Trabadelo.

Strecke 64 km, 600 HM

 

Tag 29 / Montag, 11.06.

6.30 Uhr aufstehen und Abfahrt, 7.15 Uhr Café con leche in einem Hotel und los geht’s. Nach kurzer Zeit steil bergauf, so steil, daß ich die meistens schiebe. Die ersten 750 HM sind geschafft... ich auch! Und es geht weiter bergauf-bergab. Dann hinauf ins Museumsdorf O Cebreiro auf 1.330 Meter Höhe, das soll sehr sehenswert sein. Ich sehe nur Nebel und fahre weiter. Nach kurzer Mittagspause geht’s immer noch weiter rauf und runter... ich sage nur „Haindling“! Heute ist für mich einer der anstrengendsten Tage, die Kräfte haben auf meiner Fahrt inzwischen auch nachgelassen. Dazu auch wieder heftiger Regen. Ich möchte in einer Pilgerbar auf Wetterbesserung warten, geschlossen! Also wieder warten, wie schon so oft, unter einem Baum. Ein Mann kommt auf mich zu und zeigt auf die Bar. „Is closed“, sage ich. Er macht Zeichen, daß er öffnet. Fein!

Eine junge Frau kommt zeitnah und öffnet mir die Tür. „Café“, frage ich. „Si“, und ich bekomme umgehend einen starken Kaffee, sie legt dabei auf Spanisch los. Bevor ich ihr klar machen kann, daß ich kein Wort verstehe, hat sie mir schon einen halben Roman erzählt. Wir versuchen es mit dem bisschen Englisch, dem wir beide mächtig sind. Das funktioniert ganz gut. Als der Regen aufhört bezahle ich 2.- € für zwei Tassen Kaffee, verabschiede mich freundlich und fahre weiter, bis mich nach 20 Minuten der nächste Schauer erwischt. Wieder Baum gesucht und gewartet. Auch ein Holländer sucht Schutz unter „meinem“ Baum, wir unterhalten uns angeregt, so wird die Warterei kurzweiliger. Fahre bis Sarria an einen CP. Die Reception ist geschlossen – das ist mir sowas von egal. Ich stelle mein Zelt trotzdem auf.

 

Tag 30 / Dienstag 12.06.

Die besch..... Nacht dieser Reise! Auf dem CP befinden sich außer mir nur noch ein Niederländer mit Wohnmobil und ein Spanierin mit einem Mini-Wohnwagen, dafür aber mit 5 ! Maxi-Hunden. Ich gehe früh schlafen, aber nicht lange. Ein Spanier kommt ans Zelt und kassiert die Standgebühr. Ich lege mich wieder hin, aber kaum wird es dunkel geht ein Höllenlärm los. Die Hunde vom CP und die der gesamten Umgebung unterhalten sich... es sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens 10 Hunde an der Kläfferei beteiligt. Ich könnte aus der Haut fahren, denn das Kläffen dauert mit ganz kurzen Unterbrechungen die ganze Nacht. Ich habe höchstens 2 Stunden geschlafen. Weil es zudem auch wieder geregnet hat, ist das Zelt klatschnass. Bei Nieselregen fahre ich genervt ab. Mittags will ich meine Stimmung mit einem warmen Essen (Fisch) aufhellen, klappt auch nicht wirklich, denn daheim bei meiner Frau Emmi schmeckts viel besser! Fahre über Portomarin-Palas de Rei-Melide nach Azua, Nach den Vorfällen in der vergangenen Nacht kommt heute für mich keinesfalls ein CP sondern nur ein Hotelzimmer zur Übernachtung in Frage. Hier kann ich auch im Keller mein Zelt zum Trocknen aufhängen.

Strecke 78 km, 1.373 HM

 

 

 

Tag 31 / Mittwoch 13.06.

Die Nacht war prima, bin richtig ausgeschlafen. Habe ungefähr noch 40 km bis zu meinem Ziel Santiago de Compostela, allerdings ist die Strecke wieder bergig. Komme eine große Baustelle und weiß nicht mehr, wie ich weiter fahren soll. Ich schalte das Navi ein und werde auf den Fußpilgerweg geleitet.

Um ca. 11.00 Uhr erreiche ich Santiago. Meine Gefühle, als ich hier am Ortschild stehe, kann ich nicht wirklich beschreiben. Stolz und Freude es geschafft zu haben und ein bisschen Wehmut, daß ich meine Freude genau in diesem Moment nicht persönlich mit meiner Frau, meiner Familie teilen kann. Schicke aber gleich eine Nachricht mit Foto „Nach 2.734 km Ziel erreicht“, damit diese sich wenn schon nicht persönlich dann wenigstens zeitnah mit mir freuen kann. Ich fahre weiter zur Kathedrale und setze mich auf den Vorplatz. Auch das ist nach der Ankunft am Ortschild wieder ein genauso erhebender Moment voller Glücksgefühle, was ich noch eine Weile genießen will.

Aber ich habe noch einen etwas wichtiges vor heute ! Ich frage einen Niederländer nach dem Weg zum Pilgerbüro, dort will ich mir die „Compostella“ ausstellen lassen. Dazu muß zum Beweis der Pilgerreise der Pilgerpass vorgelegt werden. Da bin ich aber nicht der Einzige, eine Menschenschlange von ca. 50 Metern vor mir. Nach einer knappen Stunde halte ich das begehrte Dokument in den Händen.

Nun kann ich mir lächelnd Gedanken zu meiner Rückreise machen. Gegenüber des Pilgerbüros entdecke ich ein Reisebüro, öffnet wieder um 14.00 Uhr. Also noch Zeit und ich gehe zum Essen. Zwei Hamburger, Pommes, 2 Spiegeleier (auf die ich mich am meisten freue). Danach noch Kaffee und Kuchen, ein Festmal für mich und das für 10,60 €! Stehe anschließend um 14.00 Uhr im Reisebüro und versuche der Dame dort klar zu machen was ich will – einen Flug Santiago – Nürnberg. Sie sucht eine kleine Weile und findet einen Flug über Paris und einer weiteren Zwischenlandung für 1.500.- € „No, no“, sage ich und zeige mit dem Daumen nach unten. Nach einer Stunde des Suchens sind wir uns einig. Das Fahrrad wird mit dem meisten Gepäck mit einer Spedition für 130,- € nach Hause geliefert, bin ja mal gespannt ob das klappt! (Nachtrag: 5 Tage nach meiner Ankunft wurden das Gepäck und das Fahrrad geliefert, es fehlt kein Schräubchen) Flug Porto – Nürnberg direkt für 170,- € am 16.06., dazu Busticket bis Porto für 36.- €. Alles gebucht !

Frage die Dame noch nach einer Unterkunft für 3 Nächte und bekomme eine Adresse: Einzelzimmer für 17.- €, das passt. Wieder auf der Straße frage ich einen Autofahrer nach dem Weg, er spricht kurz mit seiner Frau und deutet nach hinten, aha, also in dieser Richtung. Ich bedanke mich für die Auskunft und will weiter gehen. „No, no“, höre ich ihn rufen und öffnet mir die Autotür. Ich werde von dem freundlichen Paar bis zu der angegebenen Adresse meiner Unterkunft gefahren. „Taxi gratis“, sagt er bei der Ankunft. Ich bedanke mich mehrmals. In der Herberge bekomme ich das gewünschte Zimmer.

 

Tag 32 / Donnerstag, 14.06.

Nach dem Ausschlafen mache ich mich auf den Weg in Richtung Kathedrale. Sie ist schon sehr beeindruckend, aber leider teilweise außen und innen eingerüstet. Ich stelle mich in die Warteschlange, die zum Grab des Jacobus führt, eigentlich das Ziel der Jakobsweg-Pilger. Eine Freundin meiner Frau Emmi hatte mich gebeten, ein Kerze für ihre an Krebs erkrankte Schwester anzuzünden, das mache ich natürlich auch. Anschließend bummel ich durch die Stadt, kaufe einige Andenken und für meinen Enkel Adrian ein T-Shirt. Bummeln macht durstig, ich bestelle mir in einem Straßencafe ein Cervesa und der Ober stellt ein paar Häppchen dazu. Da sich auch der „kleine Hunger“ meldet esse ich alles auf und bin schon gespannt, was mir für die „Mahlzeit“ berechnet wird. Als der Ober die Rechnung bringt, bin ich sehr erstaunt, 2,50 € wird verlangt, das ist mir sehr gern ein fürstliches Trinkgeld wert! Bummle weiter durch die Stadt, kreuz und quer, sodass ich fast meine Unterkunft nicht mehr finde.

 

Tag 33 / Freitag, 15.06.

Heute nach dem Frühstück im Seminario Menor, so heißt meine Herberge gehe ich noch einmal zur Kathedrale, die sich heute besonders schnell auf den Sitzplätzen füllt. Ich setze mich dazu und eine Messe beginnt. Ich verstehe kein Wort, so wie wohl viele der Anwesenden auch, aber es ist trotzdem feierlich und berührend.  Noch einmal zünde ich Kerzen an und freue mich auf den nächsten Tag, auf das Wiedersehen mit meiner Familie.

 

Tag 34 / Samstag, 16.06.

Nach dem Frühstück packe ich und laufe zur Busstation. Ziemlich groß, ziemlich voll und es dauert eine gute Weile bis ich meine Abfahrtsstelle finde. Ich schaue einigen Radpilgern beim hektischen „Verpacken“ ihrer Fahrräder zu... Pedale müssen abgeschraubt werden, die Vorderräder abgenommen und Lenker quergestellt werden. Und anschließend alle Teile sorgsam eingepackt werden. Was bin in froh, daß mir dieser Streß mir erspart bleibt. Als ich sehe, wie ein Pilger sein Rad in Rollen von Frischhaltefolie verpackt, muß ich herzhaft lachen, aber nein, sicherlich nicht aus Schadenfreude. Auf dem Flughafen in Porto angekommen, setze ich mich in ein Cafe und sehe dem bunten Treiben zu. Als es soweit ist einchecken und schon geht’s per Flugzeug der Heimat entgegen. In Nürnberg warten meine Frau Emmi, mein Sohn Alexander und mein Enkel Adrian auf mich.

Meine Radreise als Pilger von Amberg nach Santiago de Compostella ist zu Ende, die Tränen, die mir urplötzlich ohne erkennbaren Grund einige Male während der Fahrt über das Gesicht liefen, sind getrocknet, doch die Erinnerung an diese Pilgerfahrt werde ich immer in meinem Herzen tragen und dadurch diese, für mich ganz besondere Radreise, unvergessen machen.