Die Absicht des Versandhandels-Riesen „Amazon", sich in Nittenau mit einem Verteilzentrum anzusiedeln, bewegt die Gemüter, das war am Dienstag zu erkennen an der starken Frequentierung der Zuschauerplätze in der Regentalhalle. Wie wird der Stadtrat entscheiden?

Schließlich ist das US-Unternehmen wegen seiner Arbeitsbedingungen und seiner Praxis bei der Zahlung von Gewerbesteuer immer wieder Gegenstand der öffentlichen Debatte.


Diskutiert wurde umfangreich, jedoch überwiegend über die baulichen Besonderheiten, die die Anträge der „TIH Real Estate GmbH" aus Essen stellte. „Bitte keine Bilder von der Präsentation", bat Bürgermeister Benjamin Boml (FW), bevor von der Thelen-Gruppe aus Essen der geschäftsführende Gesellschafter Christoph Thelen und Bauleiterin Nicole Scheuer sowie von Seiten des Unternehmens „Amazon" Projekt-Manager David Lovric das Nittenauer Projekt aus ihrer jeweiligen Sicht vorstellten.


„Brachliegendes Areal zu entwickeln", anhand von Beispielen in Essen und Dortmund erläuterte Christoph Thelen das Tätigkeitsfeld der Thelen-Gruppe, 1988 gegründet, ein Familienunternehmen mit mittlerweile verschiedenen Standorten in Deutschland. „Wo wir tätig sind, bleiben wir
langfristig", so der Sprecher. Es gehe um Immobilienmanagement und deren Bewirtschaftung, um Planungs- und Projektmanagement, Mobilität und Digitalisierung.

Was veranlasst Amazon dazu, in Nittenau ein Verteilzentrum zu errichten? Projekt-Manager David Lovric brachte die hohe Bestellquote der Leute in dieser Region ins Spiel. Amazon Logistics verfüge mittlerweile über 80 Verteilzentren in Europa. Das Ziel sei es, noch besseren und schnelleren
Service zu schaffen.

Der Bauwerber „TIH Real Estate GmbH" stellte den Bauantrag zur Errichtung eines Logistikzentrums auf den Grundstücken mit den Flur-Nummern 187/3 und 187 der Gemarkung Bergham. Das Grundstück liegt im rechtskräftigen Bebauungsplan „Schlingmann-Areal III" und ist voll erschlossen.

Dieses Logistikzentrum wird in Kombination mit einem Bürotrakt und 126 Stellplätzen errichtet. Dabei handelt es sich um 7.300 m² Hallenfläche und Bürotrakt. Als Mieter tritt Amazon auf, der den Sonderbau für zunächst zehn Jahre anmietet. In der Regel folgen dann Mietverträge mit einer Lauflänge von fünf Jahren. Pakete werden sortiert und verladen, im Drei-Schicht-Betrieb, 24 Stunden an sechs Tagen, so Lovric.

Die rund 130 Mitarbeiter benötigen keine formale Ausbildung, sollten aus Sicherheitsgründen deutsch und englisch sprechen. Die Logistikmitarbeiter verdienten zu Beginn ihrer Tätigkeit nach seiner Darstellung 11,91 Euro pro Stunde, erhalten nach 24 Monaten einen Bruttoverdienst von 2.500 Euro.

Mittels Fördertechnik werde die Ware in Versandtaschen sortiert. Eine routenoptimierte Sortierung erfolge auch in den Fahrzeugen, damit der Fahrer nicht herumsuchen muss auf der Ladefläche. Die Anlieferung der Pakete erfolge nachts von 22 bis 8 Uhr. Dabei handelt es sich um 20 LKWs, in Spitzenzeiten wie Weihnachten, bis zu 25 LKWs.Von 9 bis 14 Uhr, bis 15 Uhr auch Expresslieferungen, erfolgt die Auslieferung an die Haushalte. Dabei bedient man sich der Kooperation mit Kurierdienstpartnern, deren Fahrer dort direkt beschäftigt sein müssen. Hier rechne man mit 230 pro Tag, in der Vorweihnachtszeit mit einer Steigerung auf 420 Fahrten, bei den Expressdiensten kommen 30 Fahrten dazu.

Das Zustellgebiet erstreckt sich von Nittenau aus im Norden bis nach Eslarn, im Osten an der tschechischen Grenze, im Süden bis Deggendorf und im Westen bis Parsberg. 36 Parzellen umfassen die Ladezone, die die Pakete abholen. Neben den Mitarbeiter-Parkplätzen gebe es Overnight-Stellplätze, die die Fahrzeuge mit Strom versorgen. David Lovric sagte, er möchte den Stadtrat einladen, so ein Verteilzentrum zu besichtigen. Bürgermeister Boml wartete mit Fragen auf, die ihn bereits im Vorfeld erreicht hatten: Er erkundigte sich nach der Vorgehensweise bei der Ausschreibung von Arbeitsplätzen und ob diese befristet seien. Lovric antwortete, dass man zunächst an die Stadt als ersten Ansprechpartner herantreten wolle und mit dem lokalen Jobcenter kooperiere. Man habe auch Erfahrungen mit Langzeitarbeitslosen und Flüchtlingen. Anteilig starte
man mit befristeten Arbeitsverträgen, es sei unterschiedlich, wann sie in unbefristete Arbeitsverhältnisse münden. Mit Zeitarbeitsfirmen gebe es Kooperationen, er könne aber nicht sagen, wie viel das sei, so der Sprecher.

Zum befürchteten Verkehrskollaps meinte er, dass bereits jetzt Amazon-Pakete zugestellt werden. Bei der Routenplanung werden Engpässe, wie beispielsweise die Regenbrücke berücksichtigt. Bei Problemen werde der Fahrer abgemahnt, es gebe Sanktionen bis hin zur Kündigung. Es werde
einen Standortleiter geben, an den man sich wenden könne. Eine Kooperation mit der Bahn sei derzeit nicht geplant, so Lovric auf die entsprechende Anfrage.

Amazon sei an einem guten Miteinander gelegen und bringe sich daher auch ein, beispielsweise bei Projekten wie Aufforstung, Schaffung von Blühwiesen und der Unterstützung von Veranstaltungen.

Christoph König (Grüne) fragte, was nach den zehn Jahren sei, ob das Gebäude dann leer stehe nach der Nutzung. Christoph Thelen meinte, wenn absehbar sei, dass Amazon nicht mehr das Gebäude nutze, übernehme man die Planung für weitere Nutzungsmöglichkeiten. Fragen tauchten von
mehreren Räten auf bezüglich der Versiegelung von Flächen.

Elisabeth Bauer von B' 90/Die Grünen sagte, dass von ihrer Fraktionsseite dem Vorhaben nicht zugestimmt werde und führte dazu mehrere Gründe an, die uns auch schriftlich vorliegen. Auch bat sie die Ratskollegen, nicht dafür zu stimmen. Ansiedlung von Gewerbetreibenden ja, aber man sei gegen den Ausverkauf des Gewerbegebietes an einen Großkonzern.

Ursprünglich sei ein Gewerbegebiet für mittelständische Betriebe entwickelt worden. Diese würden Steuern zahlen, attraktive Arbeitsplätze schaffen und nachhaltige Kaufkraft sichern. Bauer erinnerte an die Aussage des früheren Bürgermeisters Karl Bley: „Es sind vermehrt Anfragen für das Gewerbegebiet Brucker Straße eingegangen", die die Grundlage für die Zustimmung zur Abholzung bildeten. Zu viele Fragen seien noch offen bezüglich etwaiger Vorleistungen, die die Stadt Nittenau tragen müsste, in Bezug auf Oberflächenwasser, Kanal, Ver- und Entsorgungsleitungen. Es sei nicht damit zu rechnen, dass Gewerbesteuer an die Kommune gezahlt werden, so die Sprecherin, die auch die problematische Verkehrssituation ansprach, die zusätzliche Belastung an Verkehrsaufkommen und den Lärmpegel. Langfristig würden durch die Ansiedlung von Amazon doppelt so viele Arbeitsplätze verloren gehen.

Mit den zwei Gegenstimmen von B' 90/Die Grünen, namentlich Elisabeth Bauer und Christoph König, wurde der Änderung des Flächennutzungsplans zugestimmt. Bisher war das Gebiet des ehemaligen Schlingmann-Areals bzw. der ehemaligen Hühnerfarm als Sondergebiet Geflügel bzw. als Fläche für
Wald ausgewiesen, nun als Industriegebiet (GI) geändert.

Der nächste Punkt betraf dann direkt den Bauantrag zur Errichtung dieses Logistikzentrums. Hier ging es um die Befreiungen bzw. Abweichungen des Bebauungsplans. Hier fiel vor allem die Höhe der Lärmschutzwand auf: Diese werde von 2,50 auf 6,50 Meter ansteigen, auf einer Länge von etwa 60 Metern, dann auf 5,50 Meter reduziert bis auf 2,50 Meter, welche bis zum Ende Richtung Süden konstant bleibe. Sauer stieß einigen der Räte auch die Asphaltierung von Stellplätzen auf.

Mit drei Gegenstimmen (Elisabeth Bauer, Christoph König und Dr. Roland Gebhard) wurde das gemeindliche Einvernehmen erteilt und die Abweichungen vom Bebauungsplan akzeptiert. Das gleiche Abstimmungsverhältnis zeigte sich beim Bauantrag desselben Bauwerbers, der TIH Real Estate GmbH aus Essen, bei ihrem Bauantrag zur Errichtung einer Stellplatzfläche für 169 Lieferfahrzeuge.