Regensburg. Jedes Jahr aufs Neue laden die großen Parteien am Aschermittwoch zur politischen Selbstinszenierung ein. Man feiert sich und teilt ordentlich gegen den politischen Gegner aus. Seit nun mehr 20 Jahren gibt es in Regensburg aber auch ein Alternativangebot. Der Sozialpolitische Aschermittwoch im Leeren Beutel, veranstaltet von den Sozialen Initiativen, Hochschulgruppen, einigen Parteien und weiteren Organisationen und Initiativen.

Der sozialpolitische Aschermittwoch ist mittlerweile etabliert und beliebt. Etwa 150 Interessierte waren gekommen, um die mahnenden Worte Christoph Butterwegges zu hören. Bereits vor vier Jahren gab der Armutsforscher eine Einschätzung über den politischen Umgang mit Armut und die gesellschaftlichen Gefahren durch eine immer weiter steigende Ungleichheit. Doch viel Positives hat sich seiner Einschätzung nach nicht getan. „Wieso gibt es in einem so reichen Land wie Deutschland soviel Armut?“ Die Frage stellt Butterwegge an diesem Abend immer wieder. Eine Antwort kann er leider nicht geben, aber eine umfangreiche Problemanalyse.

Und da Worte immer nur so viel zählen, wie die Erhebungen auf denen sie basieren, hat Butterwegge auch ein paar Zahlen im Gepäck. 2,7 Millionen Kinder sind von Armut betroffen. Etwa 2 Millionen Kinder leben in Hartz IV Familien. Meist werden aus diesen dann arme Jugendliche und schließlich arme Erwachsene. Weitere 2,7 Millionen Menschen verdienen derzeit weniger als den Mindestlohn. 2,7 Millionen Menschen über 64 Jahre haben weniger als 60% des mittleren Einkommens zur Verfügung. In den letzten Jahren könne man gar eine „Reseniorisierung“ der Armut wahrnehmen. Gerade im Alter verlaufe der Abstieg dann oft sehr schnell. „Das Spezifische an der Altersarmut, ist, dass man sich nur noch schwer selbst herausziehen kann."

Es müsse endlich eine gerechtere Gesellschaft angestrebt werden, in der der enorme Reichtum breiter verteilt ist. „Armut ist u.a. für steigende Kriminalität, Rassismus und sozialen Unfrieden mitverantwortlich. Es muss von oben nach unten umverteilt werden, damit sich die Gesellschaft friedlich entwickeln kann.“ Da helfe es auch nicht, sich die Sache schön zu rechnen. Denn laut der Reichtumsdefinition der Bundesregierung wäre schon ein Studienrat mit 3.500 € Nettoeinkommen einkommensreich. Butterwegge stellt  dem zum Vergleich die Quant-Erben gegenüber, die im vergangenen Jahr aus BMW Aktien über eine Milliarde an Dividenden abgeschöpft haben.

„Der Reichtum wird verschleiert, wenn man plötzlich ganz viele Menschen als reich definiert“, klagt Butterwegge an. Auch der Armutsbegriff müsse anders angegangen werden. Denn wer bei einem Einkommen von 969 € davon spricht, die Person wäre von Armut nur bedroht, verharmlose das Problem. „Der Niedriglohnsektor ist das Haupteinfallstor für Kinder-, Familien-, Erwerbs- und spätere Altersarmut. Gleichzeitig steigern niedrige Löhne die Gewinne der Unternehmen. Armut und Reichtum sind also zwei Seiten der selben Medaille. Wer von Reichtum nicht reden will, kann Armut nicht bekämpfen.“

Es müsse vor allem auch auf das Vermögen geblickt werden. Hier legt die Bundesregierung die Grenze bei 500.000 € Nettovermögen fest. „Wer also eine Eigentumswohnung besitzt und darin selbst lebt, ist vermögensreich.“ Der Reichtum werde auch hier verschleiert. Gleichzeitig leben 40 % der Menschen in Deutschland ohne Vermögen, also von der Hand in den Mund. „Diese Menschen sind nur eine schwere Krankheit oder eine Kündigung von der Armut entfernt. Armut ist somit kein reine Frage des Einkommens“, erklärt Butterwegge.

Was er an diesem Abend vorträgt, ist in der Sache nicht neu. Und das ist vermutlich die entscheidende Botschaft. Es wird zwar von Armutsbekämpfung gesprochen, es fehlt allerdings an wirklichen Maßnahmen und dies sei ein Problem für die Demokratie. Von Armut betroffene Menschen gehen immer weniger zur Wahl. Abstiegsangst sorgt für gesellschaftliche Spaltungen. „Wachsende soziale Ungleichheit gilt als Kardinalsproblem der Menschheit schlechthin. Krisen und Bürgerkriege, Fluchtbewegungen und soziale Verwerfungen sind Resultate globaler Fehlentwicklungen in der Armutsbekämpfung.“

Die Triebkraft dieser wachsenden sozialen Ungleichheit macht der Armutsforscher am Neoliberalismus fest. Insbesondere die Schröder SPD habe diese Gesellschaftstheorie in Deutschland weiter durchgesetzt und den Niedriglohnsektor stark ausgeweitet. „Der Sozialstaat wurde demontiert.“ Statt die Deregulierungen weiter voranzutreiben, müsste es eine andere Steuerpolitik geben und der Mindestlohn auf mindestens 12 € angehoben werden.

Auch der neue Koalitionsvertrag beinhaltet laut dem Armutsforscher nur wenig Sinnvolles, um Armut nachhaltig anzugehen. Hier fehle es besonders an Maßnahmen gegen Altersarmut. „Das Rentenniveau muss wieder angehoben und der Arbeitsmarkt massiv reformiert werden.“ Der Koalitionsvertrag der GroKo zeige erneut, dass die SPD nur als „Reparaturbetrieb der eigenen Fehler“ der vergangenen Jahre fungiere. „Aber ohne oder gegen die SPD wird eine Veränderung wohl nicht funktionieren.“