Apokalypse im Taxölderner Forst

Die 80er Jahre sind bunt und schrill. Die Neue Deutsche Welle rockt und Michail Gorbatschow wird Generalsekretär der KPdSU.  Glasnost liegt schon über dem kalten Krieg, als am 26. April 1986 in Tschernobyl der Atomreaktor hochgeht. Der Super-GAU! Die radioaktive Wolke zieht über weite Teile Deutschlands und Angst macht sich breit. Nun zeigt sich, welchen Preis wir für die Atomenergie, den vermeintlich günstigen Strom, im Falle eines Falles zahlen müssen. Rudi Sommer, Umweltschützer und heute Gemeinde- und Kreisrat, erinnert sich. An den Kampf. Gegen die WAA.


Schon seit Jahren waren viele Bürgerinitiativen im Kampf gegen den Bau der geplanten atomaren Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf auf die Barrikaden gegangen. Und dann begann die heiße Phase: Denn mit bis dahin ungewohnter Macht versuchte die Regierung ihre Interessen durchzusetzen. Tausende demonstrierten bei den „Sonntagsspaziergängen” im Taxölderner Forst direkt an den Bauzäunen des bereits gerodeten Baugebietes.

Auch Rudi Sommer, damals frisch gebackener Finanzbeamter mit ökologischem Herzen und Kampfgeist, war damals an vorderster Front dabei.
Friedlich und meist stumm war zunächst der Protest der Bevölkerung abgelaufen. Doch die Regierung verschärfte die Maßnahmen, ließ Hundertschaften Polizei aus Berlin und Bremen aufmarschieren. Die Volksseele des an sich stoischen Oberpfälzer Menschenschlages kochte. Das Ritual der Sonntagsspaziergänge war ein massiver Aufschrei, die Bevölkerung hatte mobil gemacht. Alt und Jung waren als lebender Schutzwall für ihren Forst dabei.

Von „Chaoten” und „Krawallmachern”
In den Medien war von Chaoten und Krawallmachern die Rede, entsprechend eskalierte nach und nach die Situation vor Ort auf Seiten der Polizeitruppen. An der Ostermontags-Demonstration am 31. März 1986 hatten erstmals über 100.000 Menschen teilgenommen. Nach angeblichen Ausschreitungen am sogenannten „Chaoten-Eck“ am 31. März 1986 wurde, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, CS-Gas eigesetzt.

„Wie im Krieg”

„Es war wie im Krieg!“, erinnert sich der Öko-Aktivist Sommer. Über den Köpfen der Demonstranten kreisten die Hubschrauber, am Boden die Hundertschaften der Polizei mit gezückten Schlagstöcken und den gefürchteten weißen CS-Gaspatronen. Ihnen gegenüber die Demonstranten in Straßenkleidung, manche im Sonntagsgewand, die meisten in Jeans und Regenjacke. Das war der ganze Schutz gegen die aufgerüsteten Polizeitruppen. Ein apokalyptisches Bild, das sich damals im Taxölderner Forst bot.


Bei einem der harmlosen, gemeinschaftlichen Spaziergänge zwischen Kinderwägen und Senioren wurde Rudi Sommer dann sogar “überfallartig” festgenommen. „Es geschah auf eine Art und Weise, wie man sich das in einem Rechtsstaat nicht vorstellen kann.“, erzählt Sommer, noch heute schockiert. Instinktiv hatte er sich mit Händen und Füßen gewehrt, klammerte sich an jeden Baum, den er zu fassen bekam. Doch letztendlich landete er im VW-Bus der Polzei, der „grünen Wanne“, und wurde zu einer „Gefangenen-Sammelstelle“ gebracht. Das Wort an sich lässt ahnen, in welcher Dimension hier am Osterwochenende „Gefangene“ gemacht werden sollten.



Im Amberger Knast
Der Tag endetet für Rudi, nach langen Verhören zu vorgeschobenen Themen, im Amberger Knast. „Ein Vorwand - sie wussten natürlich, dass ich ein aktiver WAA Gegner war“, schmunzelt er heute. Mit nur einem Schuh und demolierter Brille wurde er spät abends entlassen. Aufhalten konnte das den Kämpfer aber nicht. „Es war nicht besonders förderlich für meine Karriere”, meint Rudi heute. Die “Schlacht” an diesem Osterstag hatte er zwar verloren, den “Krieg” um die WAA Wackersdorf hat die Oberpfalz aber gewonnen.


Die atomare Aufbereitung findet seit den 1990er Jahren in Frankreich und England statt. Was letztlich aber in den Augen der Umweltschützer nur Eines bedeutet: eine Verlagerung des Gefahrenpotentials.
Damoklesschwert bleibt

Die Atomindustrie hänge nach wie vor wie ein Damoklesschwert über uns und unseren Kindern. Die Geigerzähler zeigen noch heute, 30 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl, erhöhte Werte. Die radioaktive Wolke hat Spuren hinterlassen bei  Pilzen, Beeren und Wild.

Die Isotope strahlen noch immer in vielen Gebieten Bayerns und Cäsium-137 findet sich auch 2016 noch immer in unserer Nahrungskette im Freistaat.

 

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