Lieber nichts tun als keine Fehler machen? Kritik an Markus Söder ist einseitig und voller Häme

Kommentar von Hubert Süß
Wer kämpft, kann verlieren - wer nicht kämpft, hat schon verloren. Es sind seltsame Tage, in denen der alte Bertolt Brecht (Zitat nach gängiger Meinung) dafür herhalten muss, um Ehrenrettung ausgerechnet für Markus Söder (CSU) zu betreiben. In der Frage um eine Flut zehntausender nicht ausgelieferter Corona-Testergebnisse geht es aber nicht um Themen wie links oder rechts, sondern um den Gegensatz zwischen nüchterner Analyse und Scheinmoral, die kaum verhohlene Häme abschirmen soll.

Das vorgebliche Brecht-Zitat ließe sich abwandeln auf eine Erkenntnis, die wir öfter in der Arbeitswelt oder im Ehrenamt antreffen und die dort ihre absolute Berechtigung hat. Wer etwas tut, kann Fehler machen. Wer nichts tut, der vermeidet dieses Risiko. Ins Politische übersetzt sind wir da bei Angela Merkel, deren Regierungsstil seit Jahren die schleichend Widerspruch tötende Unart des lähmenden Aussitzens und Ignorierens kennzeichnet. So war es etwa nach ihrem legendären „Wir schaffen das" am Höhepunkt der Flüchtlingskrise, als sie sämtliche Institutionen und gesellschaftlichen Ebenen auf die Antwort zur Frage „Ja, aber wie?" so lange warten ließ, bis diese Gesellschaft durch Engagement und Fleiß selbst die Antworten dazu gegeben hatte.

Denselben Esprit aus dem Amt der scheidenden Regierungschefin verspüren wir in Sachen Corona-Pandemie, speziell jetzt auch in der Frage der Urlaubs-Heimkehrer aus Risikogebieten. Zweifellos ein zumindest bundesweites Problem, auf das weder Merkels Mannschaft noch die Länder-Chefs bis dato eine auch nur halbwegs befriedigende Antwort gegeben hätten - bis auf einen. Den Streber aus Bayern nämlich.

Dass die großen Schilder, die auf Veranlassung der Bundesregierung an den südlichen Grenzübergängen aufgestellt wurden und alle Einreisenden fälschlicherweise als Rückkehrer aus Risikogebieten ansprachen, nicht der Weisheit letzter Schluss waren, dürfte jedermann klar gewesen sein. Söders Initiative, an den Haupt-Rückkehr-Routen zu Straße, Schiene und Luft die freiwilligen Testzentren zu errichten, weil Gesundheitsminister Spahn mit der Testpflicht viel zu spät aus dem Quark kam, war sicher ein richtiger Gedanke.

Wer sich mit dem Naturell des bayerischen Ministerpräsidenten auseinander setzt, der weiß, dass dies für Söder schon ausreicht, um loszulegen. Dass er dabei nicht immer genau hinschaut, wie seine Minister und Behörden mit den von ihm entwickelten Anforderungspotential fertig werden können, ist auch bekannt. Das war beispielsweise auch bei der Überbrückungshilfe für Studierende so, deren Abwicklung justament der ohnehin schwach besetzten Bafög-Behörde aufs Auge gedrückt worden war, so dass manche Bescheide wohl bis zum Doktortitel der jetzigen Erstsemester auf sich warten lassen werden. Ein anderes befremdliches Phänomen ist, dass die bayerischen Kabinettsmitglieder zum Großteil wohl nicht den Mut aufbringen, ihren Chef im Fall der Fälle vorab zu bremsen und auf Kapazitätsengpässe hinzuweisen.

Natürlich sind das keine mildernde Umstände, die das Chaos um rund 1000 verspätet informierte, positiv getestete COVID-Infizierte rechtfertigen könnten. Wenn sich deutsche Leitmedien wie die ARD (siehe Tagesthemen vom Donnerstag) oder die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung aber jetzt in Spott darüber ergehen, dass der doch so ambitionierte Krisenmanager Söder hier Mist gebaut habe, verkennen sie offensichtlich eine ganz banale, aber entscheidende Tatsache: Hätte Söder - trotz aller Fehler im anschließenden System der Datenverarbeitung - seine Reise-Rückkehr-Zentren nicht eingeführt, wären die rund 44.000 Tests vielleicht gar nicht oder nur zu einem sehr geringen Prozentsatz erfolgt.

Wer erst einmal daheim angekommen ist, wird in der Regel viel zu schnell vom Kofferauspacken und der Rückkehr in den Alltag in Beschlag genommen, als dass er sich prophylaktisch vielleicht noch einmal zum Testen begeben würde. Viele der rund 1000 positiv Getesteten haben in der Zeit, da sie kein Ergebnis aus Bayern erhielten, mutmaßlich andere Menschen angesteckt. Dank der bayerischen Tests ist es nun erst möglich, diese Ketten mit einiger Chance auf Erfolg nachzuvollziehen.

Söder also der unschuldige Strahlemann? Auch diese Einschätzung trifft es nicht. Letztlich ist immer der Chef verantwortlich. Auch dafür, dass seine Gesundheitsministerin Melanie Huml weiß, was in ihrem Zuständigkeitsbereich passiert. Das war offensichtlich nicht der Fall. Huml hatte im Vorfeld, ebenso wie Söder, wohl die Dimension der freiwilligen Testungen gerade auch für Bürger, die Bayern lediglich als Transit-Bundesland benutzen, unterschätzt. Sie hat es versäumt, mit den ausführenden Organen in ausreichendem Kontakt zu bleiben und ihren Chef entsprechend zu informieren sowie rechtzeitig wirksame Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Dass dies möglich gewesen wäre, zeigt die schnelle Problemaufbereitung am Donnerstag. Hier mag Söders größtes Verschulden in der Causa Corona-Tests liegen: Ein Fußballtrainer wird einen Leistungsträger, der durch einen kapitalen Bock das Vereinsziel gefährdet, trotz Sympathien oder Proporz-Gedanken auf die Bank verbannen. Söder hätte Humls Rücktrittsgesuch annehmen sollen. Seine Entschuldigung für das Chaos kam spät, sie war - wie er selbst sagen würde - "angemessen". Oder besser: Sie war erforderlich.

Aber zurück zur entscheidenden Frage: Was wäre die Alternative zum bayerischen Vorgehen gewesen? Andere Anwärter auf die Unions-Kanzlerkandidatur wie NRW-Landeschef Armin Laschet geben dazu keine befriedigende Antwort. Diesen Aspekt lässt die jetzt grassierende „Dämpfer für Söders Ambitionen"-Berichterstattung völlig außer Acht. Und das ist unredlich.

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