AfA-Chef Klaus Barthel: "Inhalte statt einsame Entscheidungen"

Die rund 60.000 bayerischen SPD-Mitglieder wählen gerade den oder die künftige(n) Landes-Vorsitzende(n). Die offiziellen Vorstellungsrunden sind vorüber. Je näher die Deadline am 11. Mai rückt, desto erstaunlicher lesen sich manche Meldungen, die von der einen oder anderen Seite bewusst lanciert werden. Die größte Ungewöhnlichkeit bisher: Bereits jetzt präsentierte die amtierende Generalsekretärin Natascha Kohnen mit dem Weidener Bundestagsabgeordneten Uli Grötsch ihren Wunschnachfolger, sollte sie selbst Vorsitzende werden. Ein Vorgehen, das dem üblichen Parteien-Mantra "Erst die Inhalte, dann die Personen" deutlich widerspricht. Wir haben uns mit Klaus Barthel darüber und über seine eigene Kandidatur unterhalten. Der langjährige Landes- und Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) spricht vor allem über anständige Renten und Löhne sowie soziale Gerechtigkeit im Allgemeinen. Dass ihn Kohnens Vorgehen ärgert, wird aber ebenfalls deutlich.

Herr Barthel, ihre Mitbewerberin Natascha Kohnen hat für den Fall ihrer Wahl zur SPD Landesvorsitzenden mit Uli Grötsch, MdB aus Weiden, ihren Wunsch-Generalsekretär benannt. Vom Mitbewerber Käser gab es dafür Kritik, v.a. wegen des Stils. Was ist Ihre Meinung dazu?
 
Dass der Name nach dem Versteckspiel bei den Regionalkonferenzen jetzt genannt wird, symbolisiert den alten Stil und beschädigt Uli Grötsch ohne Not. Natascha Kohnen weiß, dass viele Sozis in der mitgliederstarken Oberpfalz wegen der traditionellen Verankerung in der Arbeitnehmerschaft und den Gewerkschaften zur AfA stehen und mich unterstützen. Deshalb wollte sie ein Signal in die Oberpfalz senden. Was mich aber zunehmend beunruhigt ist, dass durch solche Manöver viel zu viel über Stil- und Formfragen diskutiert wird, aber nicht über Inhalte.

Sie sind schon lange Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD, sowohl im Land als auch im Bund. Sie gelten als Linker, dem soziale Gerechtigkeit über alles geht. Bei den letzten Bundesvorstandswahlen, als Sigmar Gabriel noch der potentielle Kanzler Kandidat war, kam diese Haltung bei Ihren Genossen nicht an, sie wurden hinaus gewählt. Wie glaubhaft ist daher jetzt die Renaissance des Gerechtigkeitsgedankens in der Partei unter der Führung von Martin Schulz?
 
Mit links und rechts ist das so eine Sache. In den 70-er Jahren und lange darüber hinaus galt die AfA als Inbegriff für die „Kanalarbeiter“, also die „Rechten“ in der SPD. Übrigens zu Unrecht.

Ich glaube, unsere Inhalte haben sich zwar modernisiert, aber im Kern nicht geändert: Gute Arbeit und Gerechtigkeit. Was sich da verschoben hat, ist die SPD-Politik. Ein Beispiel: Im Jahr 2000 hatten wir ein Rentenniveau von fast 53 %. Das heutige Niveau, das das durchschnittliche Verhältnis von Löhnen zu Rente ausdrückt, liegt bei 48 % und wird – ohne massiven Eingriff – auf 43 % (2030) absinken. Wenn wir heute mit aller Kraft für ein Mindestniveau von 50 % kämpfen, damit die Renten nicht noch mehr von der (ohnehin schwachen) Lohnentwicklung abgekoppelt werden, sind wir dann links?

Unbequem ist es sicher, weil wir in Verteilungsverhältnisse eingreifen müssen und uns von den mächtigen Interessen privater Versicherer freimachen müssen.
Martin Schulz hat einen neuen Gerechtigkeitsdiskurs angestoßen. Glaubwürdig wird das mit einem substanziellen Regierungsprogramm und dem entsprechenden Personal. An beidem arbeiten wir mit Hochdruck.


Vor dem Hintergrund soziale Gerechtigkeit müsste Schulz doch politisches Interesse daran haben, Ihre Kandidatur zu unterstützen. Kommt da noch ein öffentliches Signal?
 
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schulz sich in  eine basisdemokratische Mitgliederbefragung einschalten wird. Für mich war es ein ganz entscheidendes Signal, dass er seine Anstöße zur Korrektur der Agenda 2010 und seine konkreten Vorschläge zur Arbeitsmarktpolitik auf einer AfA-Konferenz in Bielefeld öffentlich gemacht hat. Ich hatte vorher die Möglichkeit, in einem Eröffnungsstatement ein paar Sätze dazu zu sagen.

 

Wenn Sie Landesvorsitzender werden - wer wird Ihr Generalsekretär?

Vor der Auszählung der Mitgliederbefragung wird man von mir keine Namen hören. Wir brauchen ein Führungsteam der BayernSPD, das alle Regionen und Strömungen repräsentiert und gleichzeitig ein starkes Team bildet. Da bin ich als Vorsitzender und der/die Generalsekretär/in nur ein Teil davon. Ich werde sofort ab dem 12. Mai die notwendigen Gespräche führen und keine einsamen Entscheidungen treffen.
 
Was ist heute, zur Zeit der ewigen CSU Regierung, Ihrer Meinung nach sozial ungerecht im Freistaat?

Der Hauptteil der ungerechten CSU-Politik läuft über die Bundesebene. Durchlöcherung des Mindestlohns, Verschonung von Millionenerben bei der Erbschaftssteuer, Privatisierung der Bundesfernstraßen auf dem Weg über die Pkw-Maut sind nur einige Stichworte.

Das zieht sich durch die gesamte bayerische  Landespolitik: Die regionalen Ungleichgewichte nehmen zu, staatliche Wohnungen werden an dubiose Investoren verschachert, Bayern hat als vorletztes Bundesland kein Tariftreuegesetz, keinen Anspruch auf Weiterbildung, das Bildungssystem zementiert ungleiche Chancen, eine Frauenförderpolitik fehlt komplett, sowohl in der Finanzverwaltung als auch bei der Kontrolle von Sozialgesetzen werden die Reichen und die unfair Handelnden geschützt… Die Liste ist lang. Und damit der Katalog sozialdemokratischer Wahlkampfthemen und Regierungsvorhaben.

Die Rente wird vielen Versicherten nicht reichen, die Riester Konzepte aus der Schröder Ära sind gescheitert, sofern man es nicht aus der Perspektive der Versicherungsbranche betrachtet. Warum unternimmt die SPD  in der Bundesregierung nichts dagegen? Sind ihr die Rentner egal?
 
Das Rentenpaket am Anfang der Legislaturperiode (Rente nach 45 Versicherungsjahren ab 63, Mütterrente, Verbesserungen für Erwerbsgeminderte und mehr für Reha) war das, was mit der Union zu machen ist. Nicht ganz unwichtig und nur mit der SPD möglich.

Das kann es aber nicht gewesen sein. Deshalb ist die AfA seit Jahren mit ihrem Rentenkonzept unterwegs, das wir als einen Teil des Regierungsprogrammes durchsetzen wollen: Bündelung aller staatlichen Mittel für Altersvorsorge in der Gesetzlichen Rentenversicherung statt Subventionierung privater Anlageformen,  die nur den Versicherungskonzernen aller Art nutzen (also auch Auslaufen von „Riesterrente“); rentenrechtliche Aufwertung von Zeiten der Arbeitslosigkeit und Niedrigeinkommen gegen die Armut von Menschen, die lange Jahrzehnte gearbeitet haben; Umstieg auf die Erwerbstätigenversicherung, also ein System, das alle Erwerbseinkommen, gleich ob von Selbständigen, Managern, Beamten, Berufspolitikern … gleich behandelt und den Lebensstandard sichert.   

Was sind Ihre drei wichtigsten Projekte als neuer SPD Landesvorsitzender?

Es  gibt ein kurzfristiges, ein mittel- und ein langfristiges „Projekt“.

Kurzfristig müssen wir unseren bayerischen Beitrag zum Erfolg bei der Bundestagswahl leisten: Gräben zuschütten, sozialdemokratisches Profil herausarbeiten, organisatorische Unterstützung für die Wahlkämpfenden, mögliche Lücken füllen. Wir fangen auch an mit einer neuen Formierung unserer Öffentlichkeitsarbeit und der Intensivierung der Mitgliederwerbung.

Mittelfristig, also ab dem ersten Tag nach der Bundestagswahl, legen wir auf der Grundlage einer sorgfältigen Analyse die zentralen Inhalte für die Landtagswahl fest und planen die personelle Aufstellung im Team.

Langfristig, und das beginnt mit den Planungen für den Landtagswahlkampf, arbeiten wir heraus, was sozialdemokratischer Führungsanspruch in Bayern heißt. Wir setzen unsere Themen und befähigen uns alle,  sprachfähig zu sein anstatt immer auf andere zu reagieren. Wir-Gefühl statt persönlicher Profilierung, Zielorientierung und eigene Bildungs- und Qualifizierungsarbeit für unsere Aktiven und die, die es werden wollen.

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