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Wackersdorf 70 Jahre Ortsentwicklung

Von Hans-Peter Weiß

Wackersdorf. Eine Geburtstagsfeier gab es anlässlich des 70. Jahrestages von Neu-Wackersdorf nicht, dennoch war es ein denkwürdiger Tag in der Geschichte des einstigen Bergarbeiterdorfes. Auch die Kirche ließ den Tag der Konsekration am 6. Juli verstreichen ohne diesen zu erwähnen. An jenem Sommertag 1952 versammelten sich Minister, Staatssekretäre, Regierungsvertreter, der Regensburger Erzbischof, Vertreter aus der Wirtschaft und den Direktoren der BBI sowie den Bürgern von Alt- und Neu-Wackersdorf um die offizielle Übergabe miteinander zu feiern.

Für so manch älteren Mitbürger vollzog sich vor genau 70 Jahren eine dramatische Entwicklung. Für die Ortsbewohner kündigten sich aufregende Zeiten an, denn das Bergarbeiterdorf Wackersdorf und die Kolonie-Ost sollten dem Braunkohleabbau zum Opfer fallen. Tief unter der Erde schlummerte ein mächtiges Braunkohlenflöz. Hier im sogenannten „Nordfeld" vermutete man rund 12 Millionen Tonnen Kohle, das die Versorgung des Kraftwerks Schwandorf mit Kohle und Strom für knapp zehn Jahre sichern sollte. Die Braunkohle sollte im offenen Tagebau gefördert werden, aber da stand ein Dorf mit rund 1200 Einwohnern regelrecht im Weg.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatte sich die Versorgung des Landes mit Elektrizität zugespitzt. Die staatliche Bayernwerk AG sah die Versorgung des nahe gelegenen Dampfkraftwerks „Else" in Dachelhofen mit Rohbraunkohle gefährdet. Inzwischen war die Wackersdorfer Kohle überall heiß begehrt. Neue Braunkohlenfelder mussten erschlossen werden. Die Kohleförderung musste hochgefahren werden. Erste Aufschlussarbeiten wurden 1946 im „Nordfeld" vorgenommen. Ein fünf Kilometer langer Hochwasser-Schutzgraben wurde um das Abbaufeld gezogen und unter der Bundesstraße B 85 wurde ein 125 Meter langer Tunnel für die Kettenbahn errichtet. Die Gewinnung der ersten Nordfeld-Kohle startete am 16. März 1948. Ein Master-Plan musste jetzt schnellstens her. Am 13. Oktober 1948 fiel auf Ministerebene die Entscheidung das Dorf Wackersdorf komplett umzusiedeln. Im Bayerischen Wirtschaftsministerium wurde eine Kommission eingerichtet, in der die BBI, die Regierung, Gemeinde und Pfarrei vertreten waren. Rund 1000 Quadratmeter waren die Grundstücke groß, die den Neusiedlern angeboten wurden.

Nordwestlich der West-Kolonie sollte nun das neue Wackersdorf entstehen. Kein populäres Unterfangen in Zeiten einer strengen Wohnraumbeschaffung. Auch Baumaterial aller Art war damals rar. Dennoch fiel im Frühjahr 1950 der Startschuss für den Abbruch von rund 70 Anwesen und deren Wiederaufbau auf einer etwa 30 Hektar großen Siedlungsfläche. Die beispiellose Umsiedelungsaktion war angelaufen. Eine komplette Infrastruktur wurde aus dem Boden gestampft. Straßen wurden gebaut, die B 85 wurde auf einer Länge von vier Kilometern verlegt und der Bau von Wohnungen für 317 Familien begann. Neben 70 Werkswohnungen wurden 50 Siedlungswohnungen und 30 Eigenheime und 25 Geschoßwohnungen in kürzester Zeit erstellt. Ferner wurden 22 landwirtschaftliche Anwesen umgesiedelt. Insgesamt waren 317 Wohneinheiten zu erstellen. Darüber hinaus galt es drei Wirtshäuser (Weiß, Wein Sperl), davon zwei mit einer Metzgerei, zwei Bäcker (Kummer und Buckenleib), das Kolonialwarengeschäft von Baptist Sparrer) einen Friseur (Bauer), einen Schmied (Hafensteiner) und einen Schuhmacher (Zwack) sowie ein Kolonialwarengeschäft in der Ostkolonie (Schmid) wieder in Neu-Wackersdorf anzusiedeln. An öffentlichen Einrichtungen sollten das Rathaus, das Pfarrhaus und natürlich die Kirche neu entstehen. Der „Wackersdorfer Dom", mit seinen 500 Sitzplätzen, wie ihn die Bevölkerung damals bezeichnete, stand in zentraler Lage. Fachleuten zufolge wurde das nach dem Zweiten Weltkrieg verwirklichtes Großprojekt als schönstes und größtes seiner Art in Bayern bezeichnet.

Schon im Sommer 1952 ging die Umsiedlungsaktion mit der Ortsverlagerung ihrem Ende entgegen. Eine Zeitenwende hatte begonnen. Für den 6. Juli war ein großer Festakt anberaumt. Auf großen Plakaten ließ die Gemeinde einen Festakt zur Einweihung und feierlichen Übergabe von Neu-Wackersdorf ankündigen. Straßen und Häuser waren festlich geschmückt. Vor dem neuen schmucken Rathaus war eine Bühne aufgestellt worden. In einem eigens aufgestellten Bierzelt erhielt jeder Gemeindebürger von der BBI eine Maß Bier und eine Brotzeit spendiert. Der historische Tag begann um 8.30 Uhr mit dem Kirchenzug von der alten zur neuen Pfarrkirche. Hinter den Knappen-Musikern marschierten auch Erzbischof Dr. Michael Buchberger, die Gemeindevertreter mit Bürgermeister Simbeck und die Bürgerschaft zum neuen Dorfmittelpunkt. Stolzer Herr über das neue stattliche Gotteshaus war Pfarrer Hermann Köstlbacher. Bei einer Pontifikalmesse wurde die moderne Kirche durch Erzbischof Buchberger konsekriert. Anschließend gab es auf der neuen Kirchenorgel, gebaut von der Firma C. F. Steinmeier, ein Konzert. Die Orgel hatte die Bayernwerk AG gestiftet. Gleich neben der Kirche befindet sich der Marienbrunnen, ein Erinnerungsgeschenk der BBI an die Bevölkerung, den der Geistliche stellvertretend für „Neu-Wackersdorf" segnete.

Am frühen Nachmittag war auf dem noch relativ „nackten", neu geschaffenen, Ortsmittelpunkt ein Festakt angesetzt, der von der hiesigen Bergmannskapelle musikalisch umrahmt wurde. Bergwerksdirektor Mallia konnte an diesem denkwürdigen Festtag auch den Bayerischen Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Dr. Seidl, Regierungspräsident Dr. Ulrich und den Regensburger Erzbischof Buchberger begrüßen. Nach der Festrede übergab BBI-Direktor Dr. Ernst Mallia eine Urkunde an Bürgermeister Ludwig Simbeck. In jener Gedenkurkunde wird an eine schwere Zeit erinnert, in der das umfangreiche und mühevolle Werk in wenig mehr als zwei Jahren seiner Vollendung entgegen geführt wurde. „Möge Gott Neu-Wackersdorf behüten, möge Friede und Eintracht in seinen Mauern wohnen und echter Bürgersinn da walten immerdar", heißt es in der Urkunde. Unterzeichnet ist diese am 6. Juli 1952 mit einem „Glück Auf", für die Bayerische Braunkohlen Industrie AG von Dr. Mallia, dem Vorsitzenden des Vorstandes und Leiter der Umsiedelungs-Aktion.

Wohl nie zuvor hatte der Bergmannsruf „Glück Auf" eine tiefere und sinnvolle Bedeutung für Neu-Wackersdorf. Auch schon vor der Gründung der Bayerischen Braunkohlen Industrie AG im Jahre 1906 wurde rund um Wackersdorf nach Kohle gegraben. Für ganze Bergarbeiterfamilien-Generationen sorgte die BBI für Brot und Arbeit. Mit der Umsiedelung eines ganzen Dorfes wurde in der Geschichte von Wackersdorf ein neues Kapitel aufgeschlagen. „Brücke zwischen alter und neuer Heimat" titelte damals das „Schwandorfer Tagblatt". Die Bergarbeitergemeinde entwickelte sich prächtig hin zu einer reichen Industriegemeinde. Von Alt-Wackersdorf ist nichts geblieben. Einst stand es da, wo sich heute das Naherholungsgebiet „Nordfeld" befindet. Östlich der Industriestraße markiert ein Gedenkstein den Standort der Kirche St. Stephanus.

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Das Bergarbeiterdorf Wackersdorf war alt und ärmlich.
Anfang der 1950er Jahre hatte sich Kohlenbergbau an das Dorf herangearbeitet.
Wie alle Häuser wurde auch die alte Pfarrkirche abgebrochen.
Ein Gedenkstein erinnert an Alt-Wackersdorf.
Die Radierung zeigt das beschauliche alte Wackersdorf.
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